PETER NIEDERTSCHEIDER |
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Figuration zwischen Abbild und CodePeter Niedertscheiders Arbeiten kursieren zwischen der Abbildung der Wirklichkeit und der textuellen Kodierung, die in Figurenreihen dargestellt werden. Die Medien Bild und Schrift, die sich in ihrem Wesen diametral zueinander verhalten, verbindet der Künstler in seinen Acrylpinselzeichnungen, um zu einem neuen artifiziellen Bild-Textsystem zu gelangen. Das Bild, also das Gemälde im konventionellen Sinne, steht im abbildenden Verhältnis zur gesehenen Welt und basiert auf optisch illusionistischen Gesetzmäßigkeiten, bis hin zu trügerischen trompe l`oeil-effekten. Schon in der Zeichnung wird dieser visuell fiktionale Eindruck relativiert. Flachheit, und die materielle Präsenz des Bildträgers, die den Fenstercharakter des Tafelbildes untergräbt, geben diesem Medium eine von der Wirklichkeit deutlich distanziertere Präsenz. In der Schrift werden schließlich optische Motive zugunsten eines kulturell vereinbarten Codesystems ersetzt, das durch seine Entschlüsselung wiederum zur Wirklichkeit hinführt, hier aber auf assoziativer geistiger statt auf optischer Ebene. Niedertscheiders Arbeiten liegen dazwischen, zwischen Bild und Text, Gemaltem, Gezeichnetem und Geschriebenem. Sein künstlerischer Beginn ist noch stark dem Abbild der Wirklichkeit verbunden. Bei Alfred Hrdlicka studiert, stand der aus dem Stein gehauene menschlicher Körper im Zentrum der Gestaltungsprinzipien. Die Massivität, Opulenz, Schwere und Körperlichkeit ist jedoch bald zarten im Arbeitsvorgang schwungvoll, aber konzentrierten Zeichnungen mit Acryl und Pinsel gewichen.Weibliche und männliche Figuren werden jeweils in Achtergruppen auf das Blatt Papier mit zarter Pinselführung übertragen, wobei die Lockerheit und Unmittelbarkeit des Farbauftrags mit der Bezugnahme auf die menschliche Anatomie einander die Waage halten. Mit dem hell-dunkel der Acrylfarbe wird die Figur in Licht-Schattenzonen aufgebaut und körperlich modelliert, manchmal stramm frontal stehend, dann wiederum mit Hüftschwung. Die Dunkelheitswerte der Farbe changieren in den Figurenreihen. Niedertscheider führt nun das menschliche Abbild in das Medium des Textes ein, indem er Mann und Frau in die Codefunktion stellt. Dem binären System nachempfunden, steht die Frau für 0, der Mann für 1. (a wäre dann 01 000 001, b: 01 000 010, etc.). Die Summe der acht Figuren in ihrer systematischen Reihung ergibt ein Zeichen, einen Buchstaben. Die nebeneinander geordneten Figurenblöcke ergeben in der Summe einen Text, zum Beispiel die Erklärung der Menschenrechte oder tagebuchartige Texte zur Arbeit des Künstlers. Niedertscheiders Arbeitsvorgang ist konzentriert, von Ryhthmik, Gleichmäßigkeit, Automatismus, Disziplin und Versunkenheit bestimmt. In diesem verinnerlichten Vorgehen sieht der Künstler meditative Züge und fühlt sich der Meditation im Zen verwandt. Um im Zen zur Meditation zu gelangen, bedarf es einerseits dem Rhythmus und der Atmung, diese findet er im Prozess der Figurenzeichnung, den er in Skizzenbüchern trainiert, ohne die Figuren in ein schriftliches Codesystem einzubinden, und andererseits dem Text, der Schrift, die mit ihrer geistigen Dimension das direkt Abbildende der optischen Wirklichkeit verlassen. Florian Steininger, Kunstforum Bank Austria Die Begegnung zwischen dem Analogischen und dem Nicht-Analogischen
scheint folglich außer Frage zu stehen, selbst innerhalb eines einzigen Systems. (Roland Barthes, "Eléments de sémiologie") Ein flüchtiger Befund zeigt die Reihung scheinbar monoton wiederholter Zeichen, die aber fast simultan die Vermutung einer strukturierenden Regel nahe legt. Die Betrachtung verlangt einen Fokuswechsel zwischen einer räumlichen Distanz, die das gesamte Bild ins Auge zu fassen, und einer anderen, die seine Komponenten Atome, wenn man so will zu erkennen erlaubt. Dabei bringt das eine Phänomen das jeweils andere zum Verschwinden, und die Pendelbewegung vollzieht sich nicht nur im Raum, sondern selbstverständlich auch in der Zeit. Die kleinste, nur in Nahsicht erkennbare Einheit repräsentiert eine menschliche Figur in einer weiblichen und einer männlichen Variante. Gibt es in einem System nur zwei voneinander unterscheidbare Einheiten, so ist A das Gegenteil von B (und nicht etwa von Z, was nur innerhalb des gesamten Alphabets der Fall wäre). Die binäre Opposition von Mann und Frau könnte allein schon einen Überschuss an soziologischer, kultureller, politischer u. a. Bedeutung produzieren, doch liegt auch auf der Hand, dass Einheiten sich erst dann als Gegensätze verhalten, wenn zuerst ein entsprechender Code vereinbart wurde. Der Eindruck, den wir vom Bildganzen erhalten, ergibt sich aus der Anordnung der Teile, aber ist diese auch durch eine höhere Ordnung bedingt? Wir fragen: Was ist das Strukturprinzip des Bildganzen und bildet es sich in dem Phänomen, das wir aus der Entfernung gewinnen, überhaupt ab? Eine zunächst homogen und stabil erscheinende Gruppe von Werken der letzten acht Jahre bietet verschiedene Antworten, die den Stufen einer konsequenten künstlerischen Entwicklung entsprechen. Auf einer ersten Stufe sind jeweils acht ikonische Zeichen nebeneinander gereiht. Links oben beginnend bilden diese Reihen Kolumnen, die von oben nach unten zu lesen wären jedoch nur dann, wenn man die Semantik des Bildes auf ihre textuelle Grundlage reduziert: Eine Reihe entspräche dann einem binär codierten Buchstaben der Computertastatur. Das Ganze ergibt eine Auszug aus dem Tao te king, der Menschenrechtsdeklaration oder andere verbalsprachliche Transkriptionen. Gleichzeitig aber muss das Gesamtbild aus dem Blickfeld geraten, der ästhetische Fokus einer strengen Sukzessivität weichen, die etwa dieselben Regeln befolgt, wie sie das Lesen von Büchern erfordert. Immerhin aber gewinnen wir Einblick in die Arbeitsweise des Künstlers, ist so der Schaffensprozess quasi in Echtzeit nachzuvollziehen. Dazu wurden die ikonischen Zeichen auf eine Größe hin optimiert, die nach einiger Übung ihre Niederschrift praktisch aus dem Handgelenk möglich macht. Die Unterschiede im Grauwert markieren jeweils den Zeitpunkt, zu dem der Künstler den Pinsel erneut in die Farbe taucht. Allerdings sind diese Intervalle unregelmäßig und dem Zeichenprozess fällt etwas zu, was der Code so nicht vorsieht: Materialeigenschaften, Produktionsbedingungen und das ästhetische Empfinden des zeichnenden oder malenden Subjekts. Diese Eigenschaften bilden sich analog ab (so etwa die Menge der Farbe durch den entsprechenden Grauwert). In einer weiteren Stufe wird daher auch auf Intervalle zwischen diskreten Einheiten, wie sie die binäre Codierung von Lautzeichen vorschreibt, und schließlich auch auf die Digitalisierung sprachlicher Texte verzichtet. Die Aufweichung der Grenzen zwischen Zeichen und Umgebung führt in den bislang neuesten Werken zum partiellen Verschwimmen der Materialität des Bildsymbols mit der Materialität seines Trägers. Das Bild und mit ihm seine Wahrnehmung durch den Kunstbetrachter reproduzieren Bedingungen der Malerei als höhere Ordnung. Ist der Gegensatz zwischen "Fülle" und "Form" VideoPeter Niedertscheiders Videoarbeiten resultieren einerseits aus Performances, in denen der Künstler selber agiert und sich dabei der Beobachtung durch sein Vernissagenpublikum aussetzt, andererseits aus Aufzeichnungen musealer Situationen, die seine eigenen Beobachtungen durch das fixierte Auge der Kamera objektivieren. Beide Varianten verstehen sich aber als konsequente Weiterführung der Themen, um die sich Niedertscheider bereits im Medium des Tafelbildes bemüht hat: Standbild, Raum, Zeit und Betrachter. Beiden ist auch gemeinsam, dass sie weder die Arbeit des Bildhauers abfilmen, noch Videoarbeit im engeren Sinn, sondern Bildhauerei mit anderen Mitteln sind. Die Videos der ersten Kategorie könnten aufgrund ihrer gefilterten Informationen an Einblicke in Depots von Glyptotheken erinnern, in denen der Künstler seine Bildgegenstände durch Verstellen, Verschieben, Stapeln und Schlichten zu immer neuen und überraschenden Kompositionen verlagert. Dadurch wird auf die vom klassischen Gegenstand erwartete Aura verzichtet, das bildhauerische Produkt auf seine Dinghaftigkeit zurück geworfen. Die Aufgabe, das Kunstding zum Kunstwerk zu machen, wird dem Zuschauer delegiert. Die Skulpturen definieren ihren Ort in einem potentiell endlosen Prozess, der Bildschirm wird zur Projektionsfläche eines "offenen Kunstwerks". Das Verhältnis zwischen Werk und Betrachter wird zum zentralen Anliegen im künstlerischem Diskurs und seine Definition (wörtlich als Ab- und Eingrenzung) aus unterschiedlichen Blickwinkeln vorgenommen. Mit der Grenzziehung zum Publikum zitiert Niedertscheiders die klassizistische Forderung Denis Diderots, der sich den Bühnenraum idealer Weise durch eine Mauer vom Zuschauerraum abgetrennt dachte, um die dramatis personae ausschließlich aus und für sich selber agieren zu lassen. Mit der Deutung dieser Mauer als Projektionsfläche aber berührt er die Grenzen zur zweidimensionalen Bildproduktion, die über Jahrhunderte die Domäne der Malerei war. In der Videoarbeit "Pietá" kehrt sich daher das Verhältnis auch um. Nicht mehr der Künstler oder das Kunstwerk ist der Akteur, sondern ein Publikum, das ins Bild gesetzt wird. Der Künstler zieht sich auf seinen Beobachtungsposten zurück, und zwar in genau jener Weise, wie sie die Herstellung perspektivischer Bilder seit der Renaissance vorsieht: mit dem fixierten Auge des Objektivs. Sein Fokus auf Michelangelos Kunstwerk gerät dabei zwangsläufig mit dessen Wahrnehmung durch den betrachteten Betrachter in Konflikt, die sich in Raum, Zeit und Bewegung, im Wechsel der Standpunkte, im Kommen und Gehen, manchmal flüchtig, dann wieder konzentriert und oft überhaupt nicht vollzieht. Und der Marmor, warum will der Licht, besonder Licht haben?
Ist's nicht, weil die Natur sich ewig in sich bewegt, ewig neu erschafft, und der Marmor, der belebteste, dasteht tot, erst durch den Zauberstab der Beleuchtung zu retten von seiner Leblosigkeit? (J. W. Goethe) ReliefIm Bereich des nicht Greifbaren, Atmosphärischen, Flüchtigen berührt die Bildhauerei ihre Grenzen. In keinem Medium allerdings lässt sich der Bildhauer enger auf den Vergleich mit dem Maler ein als im Relief. Genügen dem Betrachter eines zentralperspektivischen Bildes in der Regel ein Auge und ein einziger Standpunkt, um sein Objekt zu erfassen, braucht der Betrachter einer Skulptur zwei Augen und darüber hinaus noch zwei Beine (und allenfalls Hände). Die kinästhetische Wahrnehmung eines Reliefs tendiert zur Pendelbewegung in der Ebene und gleicht damit der durch den Augenabstand gegebenen stereoskopischen Anschauungsweise. Zur Erzeugung von Raumillusion lässt der Maler Konturen verschwimmen und Farben verblassen oder verblauen. Der Bildhauer, dem das Mittel der Farbe nicht zu Gebote steht, verflacht das Relief. Anders als für den Maler kann Unschärfe für ihn den Verlust der Raumdaten bedeuten, und so tastet er sich um mit Alois Riegl zu sprechen vom Haptischen zum Optischen. Wo sich dem Maler sein genuines Metier zu erschließen beginnt, wird der Bildhauer zum Zeichner oder Graveur. Das zeigt auch ein Vergleich der späten Acrylpinselzeichnungen mit den etwa gleichzeitig entstandenen Steingravuren für das Kunst-am-Bau-Projekt "Wohnpark Süd". Umgekehrt kalkuliert die Modellierung fester Volumina mit einer Beleuchtung jenseits der künstlerischen Schöpfung. Licht und Schatten, Helligkeit und Kontrast sind keine Eigenschaften der bildhauerischen Mittel, sie fallen ihnen von außerhalb zu. Dass und wie diese Tatsache im Wettstreit der Künste zugunsten des höheren Wirklichkeitsanspruches der Skulptur aufgeführt wird, gibt wiederum Aufschluss über das Rollenverständnis des Rezipienten: Die Bildhauerei ragt auch abseits ihrer Wahrnehmung durch den Tastsinn unmittelbarer als das Gemälde oder das Video in die Wirklichkeit, den Existenzraum des Betrachters, hinein. In Niedertscheiders Reliefs erfährt dieses Faktum eine doppelte Deutung. Aufgrund seiner Reinheit, Weiße, Dauerhaftigkeit und seiner Eignung zum Monumentalen fand Marmor seit der Antike bevorzugt für Kultbilder und Göttergestalten Verwendung. Anders als in den aus Polyester gefertigten Requisiten der Performances ist Niedertscheider jetzt einer idealen Erwartung von Schönheit verpflichtet, die sich allein schon im Werkstoff und seiner Geschichte manifestiert. Als Surrogat für seinen ursprünglichen Kontext exponiert das Museum z. B. den "Schlafenden Hermaphrodit" zu Füßen seiner Beschauer, mit denen er jetzt nicht nur den Maßstab sondern auch die materielle Erscheinung teilt. Einzig dem Künstler und mit ihm dem Betrachter der Szene ist im Wissen um die Doppelnatur des Motivs eine Allansichtigkeit möglich. Und dies obwohl sie durch die Orthogonalen der Umzäunung, angeschnitten von den Grenzen des Bildes, gerade deshalb aber außerhalb ihrer fortgesetzt zu denken, einen unverrückbaren Standort zugewiesen bekommen: in Augenhöhe mit dem in seiner Beliebigkeit typisierten Ensemble von Museumsbesuchern, deren Aufmerksamkeit weder sie noch das Ausstellungsstück stärker zu binden vermögen. Was das Video im zeitlichen Ablauf entwickelt, ist hier simultan zusammengefasst. Rudolf Ingruber
white cubeDer Strukturalismus oder, was man unter diesem ein bisschen allgemeinen Namen gruppiert, Michel Foucault Die Entdeckung des unendlichen Raumes war, wenn auch von langer Hand vorbereitet, die Pioniertat der Renaissance. Der Raum selber wurde zum Bildgegenstand und zum Ordnungsprinzip für seine Motive. Der Süden (Italien) steuerte dazu die Richtung, der Westen (die Niederlande) die Einrichtung bei. Im Relief war die bis dahin geltende Dichotomie in Grund und Figur, Motiv und Umgebung seit Donatello Geschichte. Die Vorstellung, dass der Rahmen das Bild aus dem Raumkontinuum der Wirklichkeit schneidet, hat sich bis heute erhalten. Ihr beliebtestes Werkzeug, der Fotoapparat, ist nicht von ungefähr unter die scheinbar zufälligen Requisiten in Niedertscheiders „white cube“ geraten. Es wird Einblick gewährt in ein Zimmer, mit einer Höhe von 90 cm, die den Maßstab für seine Bespielbarkeit vorgibt. Zwei Wände ziehen eine offene Grenze zum Raum des Betrachters und bilden zusammen mit den quadratischen Bodenfliesen ein beliebig multiplizierbares Koordinatennetz. Legt man dieses aber als Ordnungsmuster zugrunde, scheint das Szenarium einen Zustand der Unordnung zu beschreiben, dessen Deutung als Momentaufnahme einer noch unabgeschlossenen Handlung oder Erzählung sich aufdrängt. Die Bewohner des Zimmers sind sitzend und liegend, sogar im Schlaf festgehalten, und doch wird schnell deutlich, dass trotz aller Ruhe und Passivität keine der Positionen von Dauer sein kann. Höchst ungewiss ist, ob der sich anscheinend so zwanglos im Sitzmöbel räkelnde Liebhaber die Umarmung mit seiner Gefährtin noch länger durchhält. Unter all den Personen hält die am Boden Kauernde noch die beständigste Stellung, doch bleibt vorerst offen, warum die das tut. Man ist versucht, sogar hinter und unter die Möbel zu blicken, um das Geheimnis anhand der rundum verstreuten Accessoires zu lüften und man ist auch versucht, deren Stofflichkeit zu benennen: Couch und Fauteuil aus Leder, Laken und Wäsche eventuell Seide, Glas, Keramik, Wachs und Papier, von den Speiseresten gar nicht zu reden. Dabei fehlt allen die Farbe, sind die Assoziationen allein das Ergebnis der gekonnten Behandlung des Marmors und der umfassenden Skala von Verarbeitungszuständen, zwischen poliert und pulverisiert. Wie weit der Künstler sein Spiel zu treiben vermag, fasst ein in den Raum gestelltes Kunstwerk zusammen, ein Kopf, roh behauen und mit deutlichsten Spuren des Werkzeuges – der Kettensäge des Holzbildhauers, die der Marmorbildhauer im kleineren Maßstab mit der Trennscheibe codiert. In der Konfrontation mit dem klassisch anmutenden Personal wechseln Kunst und Realität ununterbrochen die Seiten. Das Stillleben wird von einem Zeitfaktor untergraben, der sich aber nicht durch eine immanente Erzählung auflösen lässt. „Die Zeit erscheint wohl nur als eine der möglichen Verteilungen zwischen den Elementen im Raum.“ In seinem Aufsatz „Andere Räume“ arbeitet Michel Foucault den Unterschied der „aktuellen Epoche des Raumes“ zu der Zeit als „Obsession des 19. Jahrhunderts“ heraus. Gleichwohl bereitete letztere mit dem Museum, „in dem die Schöpfungen der verschiedensten Zeiten und Völker, soweit sie nur echte Schöpfungen sind, gleichberechtigt nebeneinander stehen“ (H. Sedlmayr), die „Epoche des Simultanen, der Juxtaposition, des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander“ vor. Die adäquate Begegnung mit deren Elementen äußert sich in Zitat und Verweis. Dadurch bleibt auch die Möglichkeit, sie weiterhin zum Modell für bildhauerische Studien zu wählen, legitimiert. Den Kenner freut diese Übung, die ihn durch die Identifizierung des barberinischen Fauns, des Baselitz-Kopfes, des Stoffmusters nach Keith Haring vom Banausen abhebt. Michelangelo zitiert den Torso vom Belvedere nicht, er benutzt seine ideale Gestalt als Vorbild für das eigene Werk. Weder Banausen noch Kennern wäre es eingefallen, die Methode als einfallslos zu bezeichnen, im Gegenteil: Michelangelo selbst riet den Zeitgenossen, sich nicht nur im Naturstudium, sondern vor allem im Studium der Alten zu üben. Winckelmann erneuert gut zweihundert Jahre später den Ratschlag. Für ihn aber ist die ideale Gestalt weit weniger Ausdruck von Kunst als ein Produkt der Natur. Ein Körper, ein Muskel wächst eben so, wenn das natürliche Erbe gut ist und durch natürliche Aktivitäten veredelt. Hingegen hypotrophiert das Geschlecht. Niedertscheiders Studienobjekte überführen das kunstgeschichtliche Erbe in die unmittelbare Jetztzeit, als deren maßstabsgetreues Modell sie sich erweisen und für die das moderne Ambiente, die Kleider und die Frisuren, Beobachtungsniederschläge des Hier und des Heute, die äußerliche Bestätigung sind. |
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